Gerade erst das Debütkonzert gegeben und schon weiter zum Interview: ein Leben nach Zeitplan, manchmal zumindest. Sophie Holma, 15 Jahre alt, ist auf dem besten Weg, eine erfolgreiche Pianistin zu werden.
Ich trete ein in ein Zimmer, das so aussieht, wie man es in Anbetracht der Besitzerin erwarten würde: unscheinbar, einladend und mit einer Prise Chaos, die es gemütlich erscheinen lässt. Trotzdem sehe ich auf den ersten Blick, dass hier noch im Eiltempo Ordnung geschaffen und ein Stuhl bereit gestellt worden ist vor meinem Eintreffen, was ich sehr schätze. Bett, Kleiderschrank, überfüllter Schreibtisch – eigentlich nicht anders als mein eigenes. Eigentlich! Denn das Interessante an diesem Zimmer ist nicht die Einrichtung, sondern die Bewohnerin. 15 Jahre jung und mit grossem musikalischem Talent und einem noch grösseren Willen ausgestattet: Das ist Sophie Holma. Wer ist diese junge Musikerin mit finnischen und japanischen Wurzeln wirklich? Sophie ist eigentlich ein gewöhnliches 15-jähriges Mädchen aus Gränichen im Kanton Aargau. Früher eher schüchtern, heute eine aufgestellte und fröhliche zukünftige Kantischülerin. Wäre da nicht ihr Hobby, das mittlerweile zur Leidenschaft geworden ist und bald vielleicht auch zum Beruf werden wird, könnte man meinen, sie führe ein ganz normales, unspektakuläres Leben. Die Faszination fürs Klavier und das Talent kommen nicht von ungefähr; Sophies Eltern sind nämlich beide erfolgreiche Pianisten, und auch ihr Bruder ist dem Klavier verfallen. Es liegt also in der Familie. Das sei gut und schlecht, meint Sophie. Dur und Moll. Weiss und schwarz. Einerseits toll, dass alle die gleiche Leidenschaft haben; andererseits schwer, da man nichts verstecken kann, wenn alle vom Fach sind. Grundsätzlich aber eher positiv, findet Sophie. «Natürlich ist es ziemlich speziell, und es gibt auch einen gewissen Druck, da man die Eltern und sich selber nicht enttäuschen will. Aber, ich habe gelernt, damit umzugehen, und insgesamt hat es eigentlich mehr Vor- als Nachteile.»
Bereits im Alter von 5 Jahren begann Sophie ihre ersten Erfahrungen am Klavier zu sammeln. «Als Kind war ich nicht immer so überzeugt von meinem Tun, aber je mehr ich spielte, desto besser gefiel es mir.» Sophie spielt ausschliesslich klassische Werke. Ob sie noch nie das Verlangen hatte, etwas anderes zu spielen? «Nein», meint sie, etwas unsicher, als wäre sie nicht ganz zufrieden mit der Antwort. Sie rückt auf dem Stuhl zurück, zur Seite, dann sagt sie entschlossen: «Klassik ist einfach mein Gebiet. Das war schon immer so.» Besonders die Musik von Beethoven und Rachmaninow hat es ihr angetan. «Sehr gut gefallen mir die Sturmsonate und die Waldsteinsonate von Beethoven oder auch die Toccata von Prokofiev, die ich letztes Jahr gespielt habe.» Vom Hang zur Klassik ist in Sophies Zimmer nicht viel zu erkennen. Betritt man aber den Keller und öffnet die Tür zum Klavierzimmer, steht man in einem Tempel der Musik. Zwei Flügel und massenhaft Noten bekannter Komponisten. Von Bach bis Tschaikowsky, alles, was das Herz eines Pianisten begehrt.
Sophie nimmt zurzeit Unterricht bei ihrem Vater und dem berühmten Schweizer Pianisten Oliver Schnyder, auch er ein Aargauer. Von seinem eigenen Vater und einem so berühmten Pianisten unterrichtet zu werden – ist das nicht manchmal auch kompliziert? Sie zögert, es wird still im Zimmer. «Doch klar. Es ist nicht immer einfach. Man reagiert viel anders auf Kritik, und mein Vater und ich hatten schon oft kleine Auseinandersetzungen. Jedoch hat es auch seine Vorteile. Wenn man Fragen hat, kann man sie stellen, wann immer man will. Ich kann zu Hause Unterricht haben, und kleine Unstimmigkeiten können gleich wieder ausgeräumt werden. Mit Oliver Schnyder ist es auch kein Problem, im Gegenteil: Er ist ganz normal, bodenständig und sympathisch; ich mag ihn, und sein Unterricht ist toll, ich lerne viel.»
Ich bin beeindruckt von so viel Willen und Zielstrebigkeit, denn ich würde das nicht alles unter einen Hut bringen. Sophie jedoch hat darin bereits Übung: «Klar ist es schwer und anstrengend, vor allem, wenn wir in der Schule gerade eine stressige Zeit haben. Es ist wichtig, alles genau einzuteilen. Manchmal kommt es halt trotzdem vor, dass das eine oder andere etwas zu kurz kommt. Und natürlich gibt es auch Tage, an denen ich keine Lust habe zu üben. Aber das gehört halt einfach dazu. Man übt dann eben trotzdem.» Tönt fast so, als wäre es reine Gewohnheit und nur noch ein Abspulen von Routinen. Diese Annahme ist jedoch falsch, wie mir im Verlauf des Gesprächs immer deutlicher bewusst wird. Es ist eher Ausdruck einer unglaublichen Diszipliniertheit. Natürlich praktiziert Sophie das Klavierspielen schon jahrelang nach dem gleichen Schema, ihr jedoch zu unterstellen, keine Leidenschaft zu haben, ist nicht gerechtfertigt. Vielmehr ist es so, dass Leidenschaft ohne Disziplin nie irgendwo hinführt.
Obwohl ihre Zeit wertvoll ist, findet Sophie noch Platz für anderes im Leben. Wenn sie grad nicht in die Tasten haut, unternimmt sie etwas mit ihren Freunden oder liest ein Buch.
Und Sophie ist ein grosser Fan von Sprachen. «Ich interessiere mich sehr für Sprachen und vor allem für andere Länder und Kulturen.» Dementsprechend soll sich auch ihr zukünftiger Berufsweg gestalten – wenigstens vorläufig. «Nach den Ferien beginne ich mit der Kanti, Akzentfach Moderne Sprachen.» Ich will wissen, ob sie sich nicht überlegt hat, direkt etwas in Richtung Musik zu machen. Ihr Gesichtsausdruck verändert sich, es scheint mir, als wäre ich nicht die Erste, die ihr diese Frage stellt. Sie hält inne, überlegt angestrengt. «Doch, klar. – Aber auch für das Konservatorium braucht man grundsätzlich eine Matura. Und ausserdem gehe ich lieber den sicheren Weg, denn ohne eine Ausbildung dazustehen, wäre mir zu riskant.» Eine kluge Entscheidung, denn wenn Sophies Händen, ihrem beruflichen Kapital, mal etwas passieren würde, wäre die Karriere hin, und die Existenz hinge an einem sehr dünnen Faden.
Hätte ich ein solches Talent wie Sophie, würde ich auch komponieren, einem erfolgreichen Komponisten nacheifern. Sophie hat es zwar probiert, doch es sei «nicht so ihr Ding», sagt sie. «Ich spiele lieber. Das kann ich besser», meint sie und zwinkert mit den Augen. Die Anspannung hat sich gelegt, wir führen ein lockeres Gespräch.
Sophie ist zwar bodenständig und bescheiden, berühmt werden fände sie dennoch nicht schlecht. «Mir würde das Auftreten in den grossen Konzertsälen der Welt schon nicht schlecht gefallen», gibt sie zu. Ein bisschen berühmt ist sie ja schon, zumindest in der Umgebung. Das zeigte sich an ihrem ersten Soloklavierabend. Sophie staunte nicht schlecht, als sieh sah, wie viele Zuschauer im Publikum sassen, die sie nicht kannte. «Ist natürlich toll, und es macht mich glücklich, dass so viele gekommen sind, die ich vorher nie gesehen habe. Es ist grossartig, dass so viele meine Musik schätzen. Es ist ein unbekanntes Gefühl, aber es macht mich auch stolz. Ich gewöhne mich gerne dran.» – Vor dem Konzert war sie jedoch ganz schön nervös: «Den Tag über war ich ziemlich angespannt und habe versucht, mich abzulenken. Interessanterweise jedoch verschwand meine Nervosität immer mehr, je näher das Konzert kam. Das hat mich ziemlich überrascht. Vielleicht lag es auch daran, dass ich mehr geübt hatte als sonst.» Ihre Angst ist bisher aber immer unbegründet gewesen. «Natürlich habe ich immer Angst rauszufallen oder mich zu verspielen, aber bisher ist mir das glücklicherweise noch nie passiert.» Dies wohl nicht zuletzt deshalb, weil Sophie in Sachen Auftritte und Wettbewerbe bereits ein alter Hase ist. Nichtsdestotrotz, sagt sie, beginne der Nervenkitzel jedes Mal wieder von neuem. Nächsten Herbst wird Sophie wieder am Aargauischen Musikwettbewerb teilnehmen und im darauffolgenden März ihr Talent beim Schweizerischen Jugenmusikwettbewerb unter Beweis stellen.
Die Musik wird immer ein Teil von ihrem Leben bleiben, auch beruflich möchte sich Sophie danach orientieren, ihr Repertoire erweitern und ihre Ausbildung vorantreiben. Wie ihr Leben in ferner Zukunft aussehen soll, weiss sie noch nicht. Das sei jetzt auch nicht so wichtig. Was aber feststeht, ist, dass sie Pianistin werden möchte, die Menschen mit ihrem Spiel und ihrer Musik begeistern. Und dies, da bin ich mir sicher, wird dieser talentierten, disziplinierten Frau auch gelingen, egal ob in Dur oder Moll.
Ursina Mühlethaler