Christen, Juden, Muslime, Hinduisten: An der Schule Suhr begegnen sich Tag für Tag Menschen unterschiedlicher Religionen. Zwei davon sind Julia Brack und Gizem Talay. Junge Frauen, Freundinnen, über die religiösen Grenzen hinweg. Zwei, die nicht nur von Toleranz reden, sondern Toleranz tagtäglich leben.
Ein Februarabend, wie er im Bilderbuch steht. Dunkel, bitterkalt, der Frost vom nächsten Morgen bereits sichtbar. Julia Brack und Gizem Talay, beide 15 Jahre alt, sitzen mir am grossen Holztisch entspannt gegenüber. Sie beide sind Schülerinnen der Schule Suhr, wollen in ihrem Leben viel reisen und andere Kulturen entdecken. Zwei, die gemeinsam durch dick und dünn gehen, auch wenn es da einiges gibt, was sie voneinander unterscheidet: Abgesehen davon, dass Gizem im Gegensatz zu Julia grüne Bohnen hasst, haben die beiden sehr unterschiedliche kulturelle und religiöse Hintergründe. Julia Brack, die zusammen mit ihren Eltern und ihrem Bruder in Gränichen wohnt, ist in einer reformierten, christlichen Familie aufgewachsen. Gizem hingegen hat türkische Wurzeln, ihre Familie lebt nach der Lehre des Islam, feiert die muslimischen Feste und pflegt die entsprechenden Traditionen. Ihrer Freundschaft stand dies allerdings nie im Weg. Gizem hat da ganz klare Ansichten: «Ich suche mir selbst aus, mit wem ich befreundet sein möchte. Und das hängt ganz sicher nicht mit der Religion zusammen. Klar, ich habe auch muslimische Freunde, aber grundsätzlich macht es für mich keinen Unterschied, ob einer Christ, Jude, Muslim oder sonst was ist.» Julia bekräftigt: «Natürlich hatten wir anfangs und auch jetzt noch sehr viele Diskussionen im Zusammenhang mit unserer Religion. Ein Konfliktpunkt aber war es nie, im Gegenteil. Man muss sich einfach für den anderen interessieren. Gizem zum Beispiel wollte wissen, was wir an Weihnachten eigentlich genau feiern, und wie wir das tun; mich interessierte, wie türkische Hochzeitsfeiern ablaufen, welche Bräuche und Traditionen es gibt. – Die Religion ist nie zwischen uns gestanden.»
Gegen den religiösen Extremismus
Auch was das Ausleben einer Religion angeht, sind sich die beiden einig. Der Glaube ist wichtig, er sollte aber nicht auf eine extreme Weise und schon gar nicht auf Kosten anderer ausgelebt werden, wie dies aktuell etwa die islamistische Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien und im Irak tut. Religion sollte die Menschen näher zusammenbringen – und nicht Hass verbreiten. Sowohl der Islam als auch der christliche Glaube sollten die Menschen zu Toleranz und zu gegenseitigem Respekt erziehen. Sagen die beiden, und ihr Gesicht verrät, dass sie es ernst meinen. Schliesslich leben Sie die geforderte Toleranz ja auch vor.
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