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Spuren von Geschichten

Ich nehme an, dass es vielen Menschen so geht wie mir: wenn ein Gebäude abgebrochen wurde, weiss ich schon bald nicht mehr, wie es dort vorher aussah, was es an diesem Ort für Häuser, Bäume und Gärten gab. Kürzlich sah ich mir die Bernstrasse Ost und West in Google Street View an. Die Aufnahmen stammen vom November 2014. In knapp drei Jahren hat sich das Gesicht von Suhr zwischen Gasthof Kreuz und Möbel Pfister grundlegend verändert. Es hat in kurzer Zeit eine starke bauliche Verdichtung stattgefunden.

Die einen Häuser müssen weichen und neue, grössere Gebäude oder ganze Überbauungen enstehen an ihrer Stelle, das gehört zur Entwicklung eines Ortes. Heute vollzieht sich diese Entwicklung in einem noch nie dagewesenen Tempo. 
Als jene Häuser, die heute verschwinden gebaut wurden, war es einigermassen klar, welche Materialien und Bauweisen zur Verfügung stehen. Heute ist dies für die Planenden und Bauenden weit weniger eindeutig. Es steht eine Vielzahl von Materialien, Konstruktionen und Farben zur Verfügung, und die Anforderungen, die an die Gebäudehülle gestellt werden sind vielfältig, ja teilweise unübersichtlich. Es gilt, in diesem riesigen Angebot Kriterien zu finden, nach denen die Bauten, die den Ort heute und in der Zukunft prägen, geplant und gestaltet werden sollen. Wie entscheide ich, wenn so vieles erhältlich und machbar ist?

Die meisten Häuser, die in den letzten Jahren verschwunden sind haben ihren Ort geprägt, mit ihrer Stellung, ihrem Ausdruck, ihrem Material, ihrem Alter. 
Einige Materialien werden im Alter schöner, andere wirken nach einigen Jahren eher schäbig. Die einen Materialien können in gewissen Zyklen aufgefrischt, geflickt oder erneuert werden, andere müssen dem Anspruch der Dauerhaftigkeit ohne Pflegeaufwand genügen.

Ich habe mich nach Bauten umgeschaut, die bald weichen werden, und nach solchen die bald fertig sind.

Die Spuren auf der Fassade im ersten Bild zeugen von einer bewegten Vergangenheit. Der Verputz weist schadhafte Stellen auf. Er müsste wieder mal erneuert werden, was bei der Grundkonstruktion, vielleicht eine Backstein- oder Betonmauer, auch kein Problem wäre. Mit ihren ganzen, sichtbaren Spuren erzählt diese Fassade eine Geschichte.
Spur neu
Das zweite Bild zeigt ebenfalls einen Massivbau. Allerdings besteht die zweitäusserste Schicht aus Wärmedämmplatten, einem leichten Material. Die sichtbare, äusserste Schicht wird auf diese Platten geklebt. Fertig verfugt entsteht der Eindruck einer aus Klinkern gemauerten Fassade.

Bei traditionellen Bauweisen wissen wir, wie die Materialien gepflegt werden müssen, und wie sie altern. Bei den neuen Konstruktionen wird sich in den kommenden Jahren zeigen, wie sie sich in Wind und Wetter entwickeln, und welche Geschichten ihre Spuren erzählen.

Suhr besteht, wie jeder andere Ort auch, aus Anlagen und Bauten aus den verschiedensten Epochen. Das ganze Gefüge verändert sich laufend, die Einen gehen, andere kommen dazu. Eine sorgfältige Wahl aus der Fülle von Materialien und Konstruktionen kann dazu beitragen, dass der Ort bei aller Verschiedenheit und Veränderung zusammenhängend und unverwechselbar bleibt.

Erzählt das Haus, in dem Sie wohnen oder arbeiten auch eine Geschichte?

Ich freue mich über Bilder und Gedanken zu ihrer Spurensuche!

Am Ende meines Dorfschreiberinnenjahres, nach zwölf Kolumnen kann daraus ein vielfältiges Portrait von Suhr entstehen, gemacht von den Menschen hier.
Pet Zimmermann – de Jager
Zimmermann Architekten
Bachstrasse 33
5034 Suhr

Suhr am Wasser

Dort wo ich aufgewachsen bin, ist die Landschaft stark vom Wasser geprägt. Flüsse, Seen und Kanäle bilden viele Kilometer Ufer. Ufer, entlang derer man spazieren und fahren kann, wo man sitzen, spielen, wohnen und das Wasser erleben kann.

Auch Suhr ist geprägt von Wasserläufen: Suhre, Wyna und Stadtbach. Sie sind nicht immer sichtbar, öfters versteckt, aber doch auf vielfältige Weise erlebbar. Auch wenn das Wasser an vielen Orten nicht so präsent erscheint, so sind es doch die Flüsse und Bäche, die Orte verbinden. Von oben betrachtet, und dazu müssen wir heute dank Google Maps kein Flugzeug mehr besteigen, ziehen sich Flüsse und Bäche mit ihren baumbestandenen Ufern als grüne Streifen durch die Landschaft. Die immerwährende Abwärtsbewegung des Wassers macht rauschend, plätschernd, gurgelnd oder dann lautlos erlebbar, wie die Beschaffenheit der Landschaft ist, ob das Gelände steil abfällt oder eher flach, ob das Fluss- oder Bachbett eng ist oder weiter.

Lange Zeit waren Flussläufe unberechenbar und der Aufenthalt am Ufer gefährlich, und vielerorts ist es immer noch so. Der Charakter der Wasserläufe ändert sich aber im Laufe der Zeit. So hat der Stadtbach seine Funktion als Wasserversorgungs- und Industriekanal längst verloren. Trinkwasser, Löschwasser und Energie kommen heute woanders her. Die Ufer und das Wasser werden zugänglicher. An warmen Tagen können die Füsse oder das Bier gekühlt werden, an Wintertagen das Eis vorsichtig betreten.

In der Schwirrenmatte, wo der Bach seit jeher höher liegt als das umliegende Land, und seit einigen Jahren verzweigt ist und Inseln bildet, entdecke ich ein einfaches Gerüstbrett, das vom Ufer zur Insel führt. Das Brett lag wohl nicht immer dort. Kinder haben auf einfache Art eine Brücke vom Ufer zur Insel gebaut und damit neue Plätze erschlossen. Es gefällt mir, dass dort, wo das Wasser zugänglich und ungefährlich ist, ein Ort entstanden ist, der gestaltbar, veränderbar und vielfältig nutzbar ist.

Pet3, Bach coop

An einem anderen Ort, neben dem Coop, hat der Stadtbach einen ganz anderen Charakter. Das Bachbett liegt hier viel tiefer und wird von der Coop-Seite her kaum wahrgenommen. Der schönste Platz ist hier dem Abfallcontainer vorbehalten. Manchmal stelle ich mir vor, anstelle des Containers sitzen Menschen auf einer Terrasse über dem Bach. Das kühle Wasser fliesst unten durch. An einzelnen Stellen führen Stufen zum Wasser hinunter, ein einfacher Holzsteg erschliesst das gegenüberliegende Ufer.

Zwei Beispiele, zwei verschiedene Orte am gleichen Wasserlauf. Sie zeigen, dass Orte und Situationen die sich verändern, immer auch Chancen für Neues bieten. Der Stadtbach, dieses einzigartige Bauwerk, das seinen Ursprung im 13. Jahrhundert hat, könnte durchgehend und vielfältig erlebbar werden, ohne dass seine ursprüngliche Form verloren ginge