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Gärten diesseits von Eden

Zum Abschied vom Gartenjahr

Die Dorfschreiberin fragte einen der Dorfpfarrer an, ob er aus seiner Perspektive etwas zum Thema «Gärten» beitragen möchte. Ganz abwegig ist dies nicht, spielt sich doch bereits die erste (und vielleicht bekannteste) Geschichte der Bibel in einem Garten ab. Es fragt sich sogar, ob die Utopie dieses Ur-Gartens nicht als Sehnsuchtsort den Hintergrund aller biblischen Erzählungen bildet.

     In einem Garten soll mit den Menschen alles begonnen haben. Nicht nur sei die ganze Schöpfung «gut» gewesen. Besonders angenehm hätten es Adam und Eva im paradiesischen Eden gehabt. Schön warm war es, Kleider brauchten sie keine. Und auch gutes und frisches Essen boten die Bäume, die der Schöpfer für seine beiden vegetarischen Gäste aus dem Erdboden wachsen liess, mehr als genug. Wäre in Adam und Eva nicht die sehr menschliche Frage erwacht, ob ihnen mit diesem «Grundeinkommen» nicht doch etwas fehlen würde, unser aller Ur-Eltern würden noch heute glücklich, nackig und ein wenig naiv in ihrem Gärtchen leben.

     Allerdings will diese alte Erzählung weder ein Märchen sein noch die wissenschaftlich genaue Darstellung des Beginns der Menschheitsgeschichte. Mythisch berichtet sie von dem, «was niemals war und immer ist» (Sallust) und stellt dabei die grosse Frage nach den «grundlegenden Lebensordnungen der Welt» (Zürcher Bibel): Was bedeutet es, in einer Welt zu leben, die zwar auf das «Gute» hin geschaffen, zugleich aber auch von erschreckend viel Ungutem durchzogen ist?

     Als Menschen leben wir immer schon diesseits von Eden. Wir freuen uns an den Gärten des Lebens, an ihrem Wachsen und Blühen, wissen aber auch, dass es unser Brot «im Schweisse unseres Angesichts» immer wieder neu zu verdienen gilt (und dass dies vielen Menschen bei aller Anstrengung kaum gelingt). Unsere Gärtnereien diesseits von Eden zu verrichten, bedeutet aber nicht, die Sehnsucht nach jenem «paradiesischeren» Garten aufzugeben. Könnte Gartenpflege nicht auch Sehnsuchtspflege sein? Es gesellen sich dann zu unseren privaten Gärten (an denen sich diejenigen, die sie haben, durchaus freuen sollen!) weitere Gärten: HEKS-Gärten zum Beispiel, in denen auch Flüchtlinge und Migranten/innen ihren Gartenanteil pflegen. Gemeinsame Gärten, in denen sich Menschen treffen können zum Spielen, Essen, Weinen und Lachen (beim Länzihuus planen wir einen solchen). Oder auch, wenn wir es in den Suhrer Gärten und auf den Suhrer Grünflächen vermehrt in aller Vielfalt einfach wachsen lassen. Etwa so wie es Franz von Assisi für die Klostergärten seines Ordens vorsah: Auch wenn diese Gärten der Klostergemeinschaft zur Ernährung dienten, sollte immer ein Teil des Gartens frei bleiben für wild wachsende Pflanzen. Sie erinnern an die in der Schöpfung liegende Kreativität und ihre überraschende Diversität. Möchten wir wirklich in einer Welt leben, in der alles von uns Menschen geplant oder sogar fabriziert ist?

     Meinen Text widme ich zwei Suhrerinnen, deren liebevoll-umsichtiges Verhältnis zu ihrem Garten mir als Dorfpfarrer besonders aufgefallen ist. Brigitte Wilhelm: Ich sehe sie am Zaun ihres Gartens an der Bachstrasse stehend mit jemandem plaudern. Und Ursula Wyss: Ich erinnere mich, wie wir beim Besuch zu ihrem 75. Geburtstag in ihrem vielfältig-wild wachsenden Gärtchen sitzen.

Andreas Hunziker

Vorschau: Frühlingsfest – Setzlingsmarkt, Basteln, Konzert

Samstag, 8. Mai, ab 14 Uhr an der Bachstrasse 64 (Wilhelm Geigenbau)

Dieses Frühlingsfest vereint einige Anlässe in sich:

Es ist der Abschied für die Dorfschreiberin und des Amtes des Suhrer Dorfschreibers überhaupt: seit 10 Jahren begleiten DorfschreiberInnen das Suhrer Leben aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Dieses Jubiläum ist gleichzeitig der Abschluss des Projektes. Das sollte gefeiert werden!

Die noch amtierende Dorfschreiberin Eli Wilhelm hat im letzten Jahr die Suhrer Gärten angeschaut und einige porträtiert. Am Schluss muss sie gestehen, dass es die naturnahen (Gemüse-)gärten waren, die sie am meisten anzogen. Es gibt davon bereits viele, aber all die Wildbienen und Hummeln und Schmetterlinge könnten durchaus mehr Wohnraum vertragen. Dem kann abgeholfen werden! Mit einem speziell insektenfreundlichen Setzlingsmarkt, organisiert vom Natur- und Vogelschutzverein Suhr. Er erklärt:

«Es ist kein Zufall, dass der Natur- und Vogelschutz mit einheimischen Wildstauden auftritt. Diese sind nicht nur wichtige Nektar- und Pollenlieferanten unserer Wild- und Honigbienen, sondern auch Futterpflanzen von Raupen unserer Schmetterlinge. Eingeführte Zierpflanzen werden dagegen kaum von Raupen genutzt.
Die Insekten wiederum dienen Vögeln und Kleintieren als Futter. Sie stehen also oft am Anfang der Nahrungskette. Am Beispiel des Natterkopfs, einer Pflanze, die Sie am Wildstaudenstand des NVV Suhr erwerben können, hier einige Zahlen.


Er dient:

10 Schmetterlingsarten als Futterpflanze
44 Schmetterlingsarten als Nektarpflanze
6 Hummelarten als Nektar- und Pollen-Pflanze
1 Wildbienenart ist hochspezialisiert auf den Natterkopf

Aber nicht nur den Insekten wird Futter angeboten – Gemüse- und Kräutersetzlinge finden sich beim menschenfreundlichen Setzlingsmarkt. Die Pflänzchen bleiben noch eine Woche stehen zur Selbstbedienung.
Futter für Augen und Seele bieten die Blumensetzlinge, die die Frauen vom «FRAGILE»-Garten an der Mühlematte anbieten. Auch im Tausch – und das ist ein weiterer Teil des Frühlingsfestes:

Tauschmarkt für Setzlinge! Wer war nicht schon hell begeistert, dass ALLE Samen aus dem Samenpäckchen aufgegangen sind? Aber so viele Pflänzchen passen ja gar nicht in den Garten! Eben – mitbringen, tauschen, verschenken!

Und dann kann noch gebastelt werden. Ganz einfach nimmt so ein Setzling in einem handgehäkelten «Übertopf» aus dickem Jutegarn Platz. Kindereinfach! Noch ein Papier-Schmetterling dazu und schon ist das Muttertagsgeschenk parat: sympathisch, natürlich, stylish! Oder wird es ein hängender Grasring?

Jetzt wäre ein Anlass bei Wilhelm Geigenbau aber keiner ohne Musik!

Lisa Öberg (Violine) und Edmund Riddle (Viola) eröffnen um 17 Uhr die Saison auf der Open-Air Geigenbühne mit

Mozart, Bartók und Volksmusik aus Schweden, Norwegen, aus Irland, Kanada, Makedonien und Rumänien.

Mehr dazu unter
www.wilhelm-geigenbau.ch

Maskenpflicht
Bei Regen findet nur der Markt statt (14-17 Uhr)
Verschiebedatum für das Konzert unter www.wilhelm-geigenbau.ch




«Wohnen im Obstgarten»

Eine riesige Mulde steht auf dem Parkplatz der Siedlung neben dem Restaurant «Sportplatz». Frauen und Männer verschiedenen Alters befüllen sie mit Ästen und Gesträuch. Es ist grosser Arbeitstag für die BewohnerInnen der Häuser an der Bachstrasse 95, die wie jedes Jahr im Februar die Hecken des Gemeinschaftsgartens stutzen. Dieses Jahr haben sie zum ersten Mal einen Profigärtner engagiert (Amsel-Gartenbau aus Suhr) für ein umfassenderes Auslichten. Die Dorfschreiberin hält in den nächsten Stunden einige BewohnerInnen von der Arbeit ab, weil sie herausfinden will, wie diese Art von Garten funktionieren kann.

Was macht diese Siedlung aus?
Auf 50 Aren Land stehen 10 Häuser. Zäune, um die 500 qm pro Haus als Eigentum zu reklamieren, gibt es keine. Ja, die BewohnerInnen dieser Siedlung müssen sich dazu verpflichten, keinen Zaun zu errichten. Der Baugrund war ursprünglich einer der grossen Obst- und Kleinviehgärten, die typisch waren für die Häuser im Feld. Als Ausgleich für die beim Bauen gefällten Bäume pflanzte jede Familie beim Einzug 1993 einen Hochstammbaum ihrer Wahl in den Garten.
Die Dorfschreiberin sieht vor den Längsseiten der Häuser Sitzplätze auf Kies, auf Holz, Pergolen, eine kleine Terrasse mit Zaun (nur hier erlaubt für den Hund), rankende Pflanzen direkt aus der Erde oder aus Töpfen. Ihr wird erklärt, dass dies die drei Meter «Sondernutzungszonen» für den individuellen Gebrauch sind, genauso wie der eine Meter seitlich der Häuser (Velounterstände, Materiallager). Der ganze Rest ist:

Gemeinschaftsland – mit Hecken an der äusseren Grundstückgrenze, Wiese und Bäumen.

«Gibt es da niemals Streit? Braucht es einen Chef?» fragt die Dorfschreiberin. Ihr wird erklärt, dass es hier um Stockwerkeigentum geht mit entsprechender Stockwerkeigentümergesellschaft, mit einem formellen Präsidenten und Sitzungen im siedlungseigenen Gartenhaus, die im Turnus geleitet werden. Kassier und Protokollführer als Ämter, die Konstanz benötigen, bleiben bei den gleichen Personen. Die Protokollführerin lädt z.B. an die Arbeitstage ein – der nächste im Mai, um alles sommerfein zu putzen und zu reparieren, ein «Abräumtag» im November. (Gerade bestellt sie Pizza für alle.) Im Vertrag für die Stockwerkeigentümer wurde festgehalten, dass alle Entscheide einstimmig erfolgen müssen. Man kommt also nicht darum herum, den Kompromiss zu finden. Klar, «Zusammenraufen» war nötig in der ersten Zeit, an grossen Streit kann sich niemand erinnern. Diskussionen um die Menge von Kinderspielgeräten auf dem Gelände gab es und Kompromisse zu Hasengehegen auf der Wiese, die pragmatisch ausfielen: nur die direkten Nachbarn müssen zustimmen. Alle Hüttli/ Ställe müssen bewegbar bleiben.

Rasenmähen und Feiern
Eine weitere gemeinschaftliche Aufgabe ist das Rasenmähen – jeweils zwei Häuser sind dafür zuständig. Das ergibt für jede Familie höchstens zwei Einsätze im Jahr, komfortabel mit einem Aufsitzmäher. Augenzwinkernd wird berichtet, dass mit dieser Wahl die Attraktivität des Rasenmähens für die Jungen erhöht werden sollte. Der Service am Rasenmäher erfolgt siedlungsintern dank gewiefter Praktiker vor Ort.
Im Übrigen gibt es bei nur 10 Parteien immer den schnellen informellen Weg. Über Partys im Gartenhaus wird z.B. per Siedlungschat informiert.

Lebensform
Die BewohnerInnen, die explizit diese Lebensform (und nicht ein Einfamilienhaus mit Keller und Umschwung) gewählt hatten, erklären, wie bereits Bauweise und Anordnung der Holzhäuser das Zusammenleben erleichtern: Grosse, bodentiefe Fenster wechseln sich mit Wandelementen ab, so dass man sich innen nicht ausgestellt, aber doch halb im Freien fühlt. Die Bereiche vor den Häusern sind zwar «öffentlich», dennoch hat man bei keinem Sitzplatz Einsicht in den der Nachbarn. Mehr Privatsphäre im Freien bieten die Dachterrassen mit den hohen Brüstungen.
Einerseits sind sie Rückzugsort – im Sommer gehe der Blick von oben auf ein Blättermeer, wird erzählt. Während des Corona-Lockdowns seien sie aber auch ein beliebter Ort für Gespräche über die Dächer hinweg gewesen. Eine Bewohnerin entdeckte im Homeoffice, wie belebt der Garten ist: Singdrosseln machten sich über die letzten Glockenäpfel her. Alle waren sich einig, dass die Offenheit ihrer Siedlung, der Blick in die Natur, und durchaus auch der in die Fenster der Nachbarn, ihnen freundlich versicherte, dass das Leben weitergeht.

Ein wenig Statistik
Von den 10 Familien, bzw. werdenden Familien, die vor über 20 Jahren einzogen, leben heute noch immer 8 hier. Fünf Familien kannten sich schon vorher – ihre Kinder waren gemeinsam in der Krabbelgruppe und teils sogar am gleichen Tag im « Storchennest » in Lenzburg zur Welt gekommen. Im Durchschnitt hat hier jede Familie 2,6 Kinder (Schweizer Durchschnitt: 1,6 Kinder).

Garten-Kunst

Die Dorfschreiberin will wissen:
«Kann ein Garten an einem der typischen Aargauer November-Nebeltage schön sein?»
Lea Mollet wohnt seit 2005 am Kirschenweg 6 und kann über diese Frage nur lachen. Wenn das nicht auch im Nebel wunderschön ist, wie die Salbeiblätter violettgrün, olivgrün und silbern changieren? Wie die Samendolden Schattentheater spielen und die letzten Rosenknospen rot blinken? Sie steht draussen vor dem Stubenfenster und zeigt ihre komponierte Aussicht. Am Hag zum Nachbarhaus wirkt eine Efeuwand als Bühnenhintergrund für die sanft rosa ausbleichenden Hortensien und die Hagebutten der vielen Rosensträucher.

Sie führt durch das Tor, das die Hainbuchen Hecke bildet, in das nächste «Gartenzimmer». Der Staudengarten hier ist der geborgenere Teil des Gartens mit dem grossen Sitzplatz. Der wird überkrönt von einer Platane, in deren Äste eine Kletterrose wächst, die die ganze Traufe entlang des Schopfs gezogen ist – nur zarte Rosenblätter im Frühling, im Sommer Schatten und Duft. Was für eine grandiose Idee! (Die die Dorfschreiberin dann doch in der Sonne fotografiert.) Lea erzählt, dass ein befreundeter Architekt diesen Baum für ein Bauprojekt hätte beseitigen müssen und um seine Aufnahme in ihrem Garten bat.

«Wie denkst du dir das alles aus?»
Lea schickt voraus, dass sie auf einem Bauernhof im Freiburger Seeland aufgewachsen ist. Sie hat erlebt, wie ihre Eltern Büsche und Bäume als Windschutz für die Äcker pflanzten und wie sich dadurch die Landschaft änderte. Ihre Mutter hat sich leidenschaftlich eingesetzt für die Vielfalt der Natur und hat das an ihre fünf Töchter weitergegeben. Während Lea Kindergärtnerin wurde, hat eine der Schwestern mit einem Blumenladen in Bern die Leidenschaft zum Beruf gemacht. Der Austausch zwischen ihnen ist natürlich «fruchtbar». Und Lea kennt die schönsten Staudengärtnereien, schaut sich viele Gärten an. Dabei stiess sie zum Beispiel immer wieder auf die «Weidenblättrige Birne», mit ihren silbrig glänzenden schmalen Blättern, den zarten Blüten, und verliebte sich. Inzwischen strukturieren deren filigranen Äste die Winteraussicht aus dem Stubenfenster. Die Dorfschreiberin ist hingerissen von den Pflanzennamen, die Lea so selbstverständlich benutzt – die «Härdöpfelrose, also wir sagen so, das ist eine Rosa rugosa…» und fragt nach Ratschlägen für die gewöhnliche Gärtnerin.

So eine Efeuwand z.B. würde Lea nicht mehr pflanzen, es sei wahnsinnig schwer, die Ausläufer aus dem Garten fern zu halten. Die Rosen behandelt sie bei Krankheiten nicht mit chemischen Mitteln, daher kann es vorkommen, dass sie kahl werden. Mit Begleitpflanzen, die sie dazu gesetzt hat, gleicht sie das ästhetisch aus – Lavendel, Salbei, Storchenschnabel, Gaura. Und sie, die angibt, übers Jahr gesehen einen halben Tag pro Woche für den Garten aufzuwenden, rät zu einem pragmatischen Umgang – den Schnecken gegenüber zum Beispiel. Phlox lieben sie einfach zu sehr, das sei ein aussichtsloser Kampf, wenn man ohne Gift arbeiten wolle. Den Kampf gegen den Buchsbaumzünsler hat sie gleichfalls aufgegeben. Und überhaupt solle man sich leichten Herzens für «unperfekte» Teile des Gartens entscheiden – bei ihr lebt in so einem Teil ein Igel und die Wildbienen bauen ihre Erdnester in die offenen Stellen der Wiese.

Die Löcher sind Nester der Wildbienen
Und hier wohnt der Igel relativ ungestört – neben dem Gartenweg voller Erdbeeren.
Und sie finden auch im Spätherbst noch Nahrung in Leas Garten
Im blühenden Efeu am Hauseingang summt es nur so von Insekten (am nächsten Tag in der Sonne…)

Mitbewohner: Igel und Insekten

Grundsätzlich entstehe Leas Garten nach einem inneren Bild. Das klingt so einfach, aber da muss die Dorfschreiberin einwenden, dass ohne Leas grosses Wissen, jahrelange Erfahrung und Arbeit, der Garten nicht in jedem kleinsten Fleckchen vielgestaltig wäre. Die Augen kommen gar nicht nach, immer Neues zu entdecken. Im Grossen wirkt er wie locker hingeworfen und so selbstverständlich, als ob es gar nicht anders sein könnte – ist das alles nicht die Definition von Kunst? Genau: grosse Garten-Kunst eben!
In der Stube mit dem Blick in den Garten unterhielten wir uns weiter – ist es Zufall, dass Lea vor einer Skulptur sitzt, die aus einem Nussbaum geschnitzt wurde? Und ihr Mann René bringt einen Stick voller Gartenbilder vom letzten Herbstsonntag – einfach hinreissend!
©René Mollet:

Das Gartenfest in der Mühlenmatte am 30. August

Am letzten Augustsonntag brachte ergiebiger Regen allen Pflanzen einen Energieschub, um sich im Spätsommer weiterhin prächtig zu entfalten, die Veranstalterinnen des «Gartenfestes» aber knapp vor die Verzweiflung. Sie merkten dann rasch, dass diese nicht angesagt war angesichts von über 40 regenfesten Suhrerinnen und Suhrern, die neugierig waren auf den Garten von FRAGILE! Kaum zu glauben, was die von Hirnverletzungen betroffenen Frauen in diesem Jahr schon zustande gebracht haben – es ist ein Universum entstanden, dessen Blüten sich durch die Monate abwechseln. Immerzu gibt es neue Nahrung für Bienen und Hummeln und Schmetterlinge und – für die Augen und das Gemüt der Gärtnerinnen und Betrachtenden.

Die skandinavischen Begrüssungsmelodien des «Diversion String Quartets» mischten sich wunderbar mit dem Regentrommeln auf das Zeltdach, ja, konnten es sogar übertönen…Die Ansprachen der Dorfschreiberin und von Jana Renker von FRAGILE Aargau hielten sich kurz, die Wärme des Nachbarschaftshauses rief…Dort genossen alle trotz der Hygieneauflagen den Apéro der eritreischen Frauen von «Solibrugg» (ehemals «Suhrwide») nebenan. Die Musiker spielten im «Logenraum» in der Mitte der Zimmerflucht und freuten sich ehrlich über diese neue Bühnenerfahrung.

Beteiligte und Helfende am Fest:
Jana Renker, Vorstand FRAGILE Aargau; Marianne Peter, Leiterin Geschäftsstelle FRAGILE Aargau/Solothurn Ost; Karin Schnellmann, Koordinatorin für FRAGILE in Suhr mit Gärtnerinnen Olivia und Marguerite.

Zehra Türkmen, Kulturkommission Suhr; Martin Zimmermann und Team, Zeltraum GmbH; Quartierentwicklung, Nachbarschaftshaus; Catering von Genet Mengstab und ihrem Helferinnenteam von Solibrugg – Saba Tsegai und Frewyni Ghebrekidan; Diversion String Quartet mit Gabriel Miranda (Geige), Robin De Stefani (Geige), Cyrill Greter (Bratsche), Matouš Mikolášek (Cello).

Der Schatz im Gemüsegarten

An der Bachstrasse gibt es schon seit langer Zeit einen besonderen Vorgarten. Zuerst bemerkt man hauptsächlich viel Grün und das Fehlen einer Hecke. Und dann schaut man genauer und es gehen einem die Augen über. Da sind neben- und untereinander Feigenbäume, Nachtkerzen, ein Apfelbaum, Pfingstrosen, Taglilien, Rosmarin, Lupinen, schwarze Johannisbeeren, rote und gelbe Rosen, ein Kakibaum (!), hoch aufragender Gewürzfenchel und als Bodendecker Petersilie, Erdbeeren, Oregano und Minze. Über einem kleinen Teich spannt sich ein Dach aus Weinreben.

Dieser Vorgarten gehört Salvatore und Teresa Rizzo. Der Hausmauer entlang wachsen Salbei, Rosmarin und riesige Basilikumbüsche, einige schon halb abgeerntet. Teresa füllt gerade in der Gartenküche an der Rückseite des Hauses ihr Basilikumpesto ab. Im Radio läuft ein italienischer Sender, zwischen Wannen und Sieben hängt eine Speckseite, grosse Töpfe stehen parat, Pastapackungen stapeln sich im Regal, Obst gärt in einem Fass und plötzlich scheint es gar nicht mehr sicher, ob diese Küche wirklich in Suhr steht.

Salvatore ist im Garten hinter dem Haus – und der ist richtig gross! Die Rizzos haben dieses Haus zu einer Zeit gekauft, als Selbstversoger-Gärten an der Bachstrasse noch selbstverständlich waren. Salvatore kam 1961 in die Schweiz, heiratete Teresa 1963 und holte sie nach Suhr. Beide kommen aus San Chirico Raparo in der Basilicata, ganz im Süden von Italien. Salvatore hatte eine Stelle auf dem Bau, bei der Firma Grundmann. Bei ihr hat er sich hochgearbeitet bis zum Polier und blieb dort bis zur Pensionierung. Mit Kollegen baute er Balkone und Terrassen an das Haus an und eben die Küche im Untergeschoss. Dort entstanden z.B. die Tomatensaucen für die Veranstaltungen des italienischen Elternvereins.

Gemüse im Überfluss
Der Garten wird nach hinten abgegrenzt von einer lebendigen, drei Meter hohen Mauer aus Stangenbohnen, nach links vom Tomatenhaus mit üppigen Pflanzen, rechts stehen noch mehr Obstbäume. Hinter den Buschbohnen entdeckt die Dorfschreiberin eine lange Reihe Meerrettich. Meerrettich in der italienischen Küche? Ja, mit Käse in Suppen! Und zwischen diesen Abgrenzungen wachsen Kürbisse, Stangensellerie, Auberginen, Peperoncini, Fenchel, Mangold und in langen Beeten erntereife Sommersalate und frisch angepflanzte Herbst- und Wintersalate – Chicorée, Zuckerhut, Endivie – und ein italienisches Bittergemüse, was Teresa heute zu Huhn und Kartoffeln kochen wird. Kartoffeln, erklärt Salvatore, hat er im Schrebergarten beim Feuerwehrdepot. Sie sind bereits geerntet und im Moment blühen dort die Buschbohnen. Noch mehr Garten? «Salvatore, wie alt bist du?» «82. In meiner Familie wird man alt.» Von den fünf Schwestern leben noch zwei in der Heimat, die eine 93, die andere 97. Die hat vor zwei, drei Jahren aufgehört zu gärtnern. Viele Samen hat er aus Italien, die Feigenbaum-Stecklinge von einer Cousine aus der Toskana. Und überhaupt zieht er seine Samen selber. Die schweizer Preise für die winzigen Samenpäckchen seien ja wohl verrückt. Er zeigt auf Buschbohnen, die schon ganz gelb sind – er hat sie nicht vergessen zu ernten, sondern extra für die Samengewinnung angepflanzt.

Der Rat an die GärtnerInnen
Salvatore führt in sein gläsernes Treibhaus mit Stapeln von Anzuchtschalen und Samendolden von Petersilie, die hier noch fertig ausreifen. Und dann öffnet er eine unscheinbare Plastikkiste und es tut sich ein Schatz auf. Stoffsäckchen liegen darin, z.B. angeschrieben mit «Basilico», «Zucchi», «Sedano» und Stoffrollen, die aussehen wie uralte Schriftrollen. In ihnen trocknet er jedes Jahr die Tomatensamen. Salvatore macht seit Jahrzehnten, was heute wieder in Mode kommt – Samen selber ziehen, weil sich so die Pflanzen mit der Zeit gut an die Bedingungen des Gartens anpassen. Er macht das wie bereits seine Eltern – weil es schlau und sparsam ist. Die Dorfschreiberin nimmt sich viel vor für ihren eigenen Garten…

Vorschau: Ein Gartenfest

Am Sonntag, 30. August um 11 Uhr im Garten des Suhrer Nachbarschaftshauses Mühlematte, Mühlemattweg 14

Die Dorfschreiberin Eli Wilhelm porträtiert Suhrer Gärten und ihre Menschen. Im Spätsommer gibt es ein Live-Porträt. Sie lädt zusammen mit der Kulturkommission und FRAGILE Aargau in einen öffentlichen Garten ein.

Der Garten in der Mühlematte ist etwas doppelt Besonderes, weil er eben ein «Nachbarschaftsgarten» ist, und weil darin ein weiterer Garten blüht. Er wurde in diesem Frühling angelegt von hirnverletzten Menschen mit der Unterstützung von FRAGILE Aargau (der Patientenorganisation für Menschen mit Hirnverletzung und deren Angehörigen) und der Suhrer Quartierentwicklung. Der Garten zeigt die Form eines Gehirns mit seinen beiden Hälften, begehbar durch geschwungene Rasenwege. Er ist jetzt bereits eine Oase für Insekten und Schmetterlinge. Die Initiantinnen freuen sich über die wohltuende Wirkung der Arbeit in und mit der Natur. In der Gartenmitte entsteht ein Ort zum Ausruhen und Geniessen für alle.
Jana Renker, aus dem Vorstand von FRAGILE Aargau, führt ein in dieses Projekt und die Arbeit der Stiftung.

Und weiter gibt es beim Garten-Fest:

  • Einen Apéro mit sommerlichen Gartenprodukten
  • Musik: das «Diversion String Quartet», dessen junge Musiker sich in keine Schublade zwängen lassen. Ob Jazz, Rock, Folk oder Funk – mit musikalischer Offenheit und überraschender Spontaneität sprengen die vier klassisch ausgebildeten Musiker die Grenzen des gewohnten Streicherklangs.
    www.diversionstringquartet.ch
  • Spiele für Kinder und alle, die es werden wollen

Das Fest findet auch bei Regen statt.

Der Stein (im) Garten

Das Haus an der Ecke von Salamander-und Brügglifeldweg kennen Viele: da ging man zum Velo kaufen und flicken lassen bei Sepp Reichmuth und vorher in den Lebensmittelladen von Familie Bauder. 2013 kam der Abbruch – nein, nicht vom Haus, sondern von der Asphaltfläche vor dem Haus. Dann wurde da ein ganzer Berg von Kies aufgeschüttet, auf dem drei kleine Kinder mit ihren Schäufelchen spielten. Heute sagen sie natürlich, sie hätten geholfen, den Kies zu verteilen. Da lag jetzt also Kies vor Haus und Anbau und eine Badewanne gesellte sich dazu. Die fiel beim Umbau des Hauses an. Und 4 Jahre später fuhr ein Lastwagen vor und seilte vorsichtig einen Riesenstein ab.

Das könnte der Anfang einer Geschichte von Franz Hohler sein. In den Augen von Andreas Märki (48), Geologe beim Kanton Aargau, und Isabelle Widmer (44), Physikerin und Begleiterin beim Verein «Die Tagesfamilie», ist es einfach die Geschichte ihres Einzugs.


Isabelle hatte sich sofort in die Pergola hinter dem Haus verliebt, Andreas sah die Möglichkeiten eines naturnahen Gartens. Am «Salamanderweg» sollte es doch möglich sein, Eidechsen anzusiedeln! Mit der Zeit fand Andreas heraus, dass der Garten eine «Insellösung» wäre: die Eidechsen brauchen mehr verbundenen Lebensraum. Das heisst, es bräuchte noch viel mehr Gärten mit Steinen und Mäuerchen und vielleicht auch weniger Katzen, die gerne Eidechsen jagen. Zumindest eine Metalleidechse wohnt jetzt an der Wand des ochsenblutrot gestrichenen Anbaus.

Ja und der Riesenstein?


Andreas stellt ihn vor: er ist ein Findling aus einem Seitenarm des Reussgletschers, wiegt 4,6 Tonnen und besteht aus kalkigem Sandstein. Gefunden wurde er in der Staffelbacher Kiesgrube Stoltenrain. Kiesabbauer freuen sich nicht richtig über Findlinge. Sie gehören zum «geomorphologischen Inventar» und dürfen deshalb nicht gesprengt werden. Irgendwohin müssen sie also sowieso transportiert werden, weshalb nicht in den Garten eines leidenschaftlichen Geologen? Es gab eine ganze Reihe Findlinge zur Auswahl – die Kriterien dafür waren die Grösse des Lastwagens, der noch vor dem Garten wenden konnte und die Grösse der Kinder. Florin (*2006), Milan (*2008) und Ronja (*2011) sollten darauf picknicken können. Das tun sie inzwischen weniger, in Coronazeiten aber hat Ronja darauf mit ihrer Geige dem Bach «Die Moldau» vorgespielt. Und es passen immer noch alle drei darauf! 

Die Pflanzen


Alle Pflanzen im Garten hat Andreas danach gepflanzt, wie bienen-, vögel- und schmetterlingsfreundlich sie sind. Die bestehende blütenlose Hecke zum Nachbarhaus ersetzte er durch kleine Obstbäume, Tanne und Birke durch Holunder und die Kinder zählen auf, welche Beerensträucher sie gepflanzt haben. Es fällt auf, wie Andreas von den Pflanzen erzählt. Er hat zum Beispiel fünf verschiedene Mohnsorten ausgesät. Im Lauf der Jahre hat sich nur eine gehalten und an einem bestimmten Standort im Regenschatten blüht sie jedes Jahr wieder. Er redet von ihr wie von einem Wesen mit eigenem Willen, den er ihm lässt. Ein Gärtner, könnte man meinen, würde doch genau umgekehrt erwarten, dass alles nach seinem Willen wächst? Von der freundlich subversiven Kraft der Pflanzen schreibt schon Friedrich Rückert (1788-1866):

«Ich zog eine Wind’ am Zaune;
und was sich nicht wollte winden
von Ranken nach meiner Laune,
begann ich dann anzubinden,
und dachte, für meine Mühen
sollte es nun fröhlich blühen.
Doch bald hab ich gefunden,
dass ich umsonst mich mühte;
nicht was ich angebunden,
war, was am schönsten blühte,
sondern was ich liess ranken
nach seinen eigenen Gedanken.»

Der Garten als Ort der Einübung ins harmonische Miteinander von Mensch und Natur? Ein schöner Gedanke. Aber ohne Einfluss des Menschen würde aus einem «Naturgarten» bald Wildnis, bei der vielleicht eine Pflanzenart überwiegen würde. Deshalb ist Andreas täglich kurz im Garten und jätet und überprüft z.B., ob die richtigen Farben bei den Akeleien überwiegen. Diese grazilen Blumen wachsen wie Unkraut, wenn sie einen Ort angenehm finden. Andreas «züchtet» die violetten. Inzwischen gibt es neben dem Haus auch einiges an Gemüse in Hochbeeten und überdachte Tomatenstöcke. Direkt daneben haben Hummeln und Wildbienen ihren Nachwuchs im «Hotel» deponiert. Dieses war so schnell belegt, dass ein zweiter Stock nötig wurde.

Andreas gefällt es, ausrangierte Eimer und Badewannen zu bepflanzen. Es erinnert ihn an das wunderbare «Gerümpel» rund um den alten Hof im Elsass, den der Lebensgefährte seiner Mutter bewirtschaftete.


Übrigens ist die Badewanne auf dem Kies vor dem Haus der einzige Ort im Garten, an dem sich Torf findet. Auf ihm und mit regelmässigen Gaben von Wasser aus dem Bach wachsen die Heidelbeeren halt am besten.

Der Rat für die GärtnerInnen

Kleine Kinder lieben die Lauben aus Weidenstecklingen, die sehr schnell eine grüne Höhle bilden. Grosse Kinder aber auch. Sie sind idealer Rückzugsort zum Lesen oder für «Handy-Arbeit». Florin demonstriert das genüsslich auf dem Sofa in der Laube, die von Anfang an für die Teenager-Grösse konzipiert wurde.


Gerne grenzen naturnahe GärtnerInnen ihr Land mit einem Hag aus Ästen ab. Damit der Hag aber auch wirklich nutzbar ist für allerlei Getier, muss er doppelt geschichtet werden. Milan stöhnt: «Das war unbezahlte Kinderarbeit! Wir haben alle Äste mit dem Bollerwagen aus dem Wald geholt!» Aber dafür hat er auch „seinen“ klassischen Rosenbogen bekommen!


Es wird deutlich, dass in diesem Garten kein Landschaftsarchitekt ein Konzept festgelegt hat, sondern dass er langsam gewachsen ist. Auch mit den Bedürfnissen der Familie – zuerst war der Sandkasten für die Kinder wichtig, nun ist der überwachsen, aber eine Slackline ist quer über den Rasen gespannt. Die Dorfschreiberin ist entzückt, welche Vielfalt auf kleinstem Raum hier anzutreffen ist.  Isabelle meint: «Draussen darf Üppigkeit sein. Sie bereichert die Sinne. Fürs Gemüt würde mir der Blick nur auf Rasen und Hecke nicht reichen.»

Frühling im Baumgarten

#hugatreenotme_René

Empfehlenswert in Corona-Zeiten: #hugatreenotme

 

 

 

 

René Estermann, 54, aufgewachsen in Olten und Wangen bei Olten, Agronom & Baumwärter und ab August 2020 Direktor des Umwelt-& Gesundheitsschutz der Stadt Zürich, verheiratet, 3 erwachsene Töchter, lebt seit 2001 am Waldhofweg.

 

Ein Mann soll in seinem Leben ein Haus bauen, einen Baum pflanzen und einen Sohn zeugen – diesem Luther zugeschriebenen Spruch wird René Estermann vollständig gerecht. Neben dem Hausbau hat er, dem 21. Jahrhundert und damit der Frauenemanzipation entsprechend, drei Töchter gezeugt. Und in Zeiten des Klimawandels und als früherer myclimate-CEO reicht es nicht mehr, einen Baum zu pflanzen, René hat Hunderte von Bäumen gepflanzt.

Seine besondere Beziehung zu Bäumen zeigt sich, wenn er seine Berufe als «Agronom und Baumwärter» angibt. Letzteres ist keine esoterische Bezeichnung, sondern ein handfester Titel der Obstbaufachstelle. René absolvierte die 30-tägige Ausbildung in seinem Maturajahr. Er erzählt, dass der Rektor in Olten damals keine Bedenken wegen der dafür nötigen Fehlzeiten hatte. Vielleicht auch, weil der Rektor dann zur ersten Kundschaft gehörte, der er die Bäume schnitt? Erfahrung mit Bäumen hatte René aber schon länger – sein Onkel Hans war Obstbauer in Rickenbach (Luzern). Ihm half er seit der Kindheit im Sommer bei den Erdbeeren, im Herbst bei den Äpfeln. Was ihn bei der Arbeit hielt, schmunzelt René, seien sicher auch die 7 (!) Cousinen gewesen. Bei ihnen war er der Hahn im Korb, für den Onkel Sohnersatz.

Die Leidenschaft
Im elterlichen Garten hatte René Erfolg mit allen Fruchtkernen, die er neugierig gepflanzt hatte. Dank dem Onkel hatte er gelernt, die Bäumchen zu veredeln. Aber bald einmal war der Garten voll. Mit ca. 17 Jahren suchte er also einen Bauern, der ihm Land für seine Bäume gab. Im Oltner Gheid fand sich eine Hofstatt, wo er 35 Are für 25 Jahre pachten konnte. Neben den uralten Bäumen, die bereits dort standen, pflanzte er ein halbes Dutzend Kirschbäume an, ein Dutzend Zwetschgen- und haufenweise Apfelbäume. Sein Vater half beim Heuen und bei der Verarbeitung u.a. zu Most, Dörrobst und Schnaps. René lebte seine Passion weiter aus, indem er Agronomie studierte. Und als er mit seiner Familie 2001 am Waldhofweg das Haus baute, lag dahinter wieder so ein alter Baumgarten. Er gehört zur Stiftung Galegge. Weil er den Humus vom Aushub für das Haus dort deponieren wollte, kam er mit ihr in Kontakt. Und natürlich – er bot an, den Baumgarten zu pflegen und zu verjüngen. Inzwischen hat er dort zwischen die 50 bis 80-jährigen alten Bäume 150 neue gepflanzt.

Kirsche_gepflanzt 2001

Ein Kirschbaum, 2001 gepflanzt

Der Baumgarten
In diesem bilderbuchartigen Frühling 2020 blühen die Bäume in besondere Pracht. «Dank» dem lock-down wegen der Corona-Pandemie hatte René viel Zeit, Coiffeur zu spielen: «Die alten Baum- Damen und Herren haben alle eine frische Frise bekommen!». Was von dieser Arbeit ausser den ausgelichteten Baumkronen sichtbar ist, sind die grossen «Astnester» zwischen den Bäumen. Ein junger Mann aus Eritrea hilft René und hat das Talent, aus den abgeschnittenen Ästen kunstvoll Objekte zu schichten. Sie sind nicht nur ästhetisch, sondern bieten allen möglichen tierischen Nützlingen Unterschlupf.

René erzählt, wie er jedes Jahr beim Baumschneiden den Ausblick auf den Jura geniesse, nun den Blütenduft und natürlich die Früchte. Neben den Äpfeln kann er Mirabellen, Kirschen, Birnen, Quitten, Walnüsse und Zwetschgen ernten. Das Obst erhält keinerlei Pflanzenschutz, daher ist die Ernte unregelmässig und nicht so gross. Aber immerhin 8’000 Liter Most gab es im 2018! Wer mit René zusammenarbeitet, kann sicher sein, mit Süssmost versorgt zu werden. Bei der Ernte (und dem anschliessenden Bräteln) helfen denn auch immer die Arbeitskollegen und ihre Familien. Die Herkunft seiner drei «Öpfuschampis» oder seiner neusten Kreation, dem Sweet-Cidre «Pommes d’Or», benennt René auf der Etikette mit «Aarau Süd». Aarau können die Zürcher KollegInnen eher orten als Suhr – ganz abgesehen von den Missverständnissen, die es bei «Suhrer Most» geben könnte…

Die Marroni Pflanzung
René erklärt, der «Süden von Aarau», also Suhr mit seinem Mikroklima, sei eine eigentliche Weinberglage. Das brachte ihn dazu, im letzten Jahr 74 Marronibäume zu pflanzen – eine lange Reihe oberhalb des Baumgartens, nahe dem Waldrand. Die insgesamt 15 Sorten stammen zum grossen Teil aus den Föhnregionen der Schweiz (Walen- und Vierwaldstättersee, Rheintal, Zug), den traditionellen Marroni-Anbaugebieten nördlich der Alpen, ergänzt mit französischen Edel-Sorten.
Den einjährigen Setzlingen (linkes Foto) muss die Spitze gekappt werden, damit sie schöne Äste machen (rechtes Foto, Setzling von letztem Jahr).

Der Rat an die GärtnerInnen
Die Sortenbezeichnungen der alten Apfelbäume klingen skurril bis poetisch: «Geheimrat von Breuhahn», «Portugiesische Leder-Reinette», «Zabergäu». Der «Stäfner Rosenapfel» ist ein wunderschöner Schneewittli-Apfel. Man muss ihn aber bis Februar aufbewahren, damit er sein volles Aroma erreicht. Das ist bei vielen alten Sorten so, die, auf den Hurden im Keller gelagert, bis ins Frühjahr Vitamine liefern mussten. «Bohnäpfel» wiederum sind gute Mostäpfel und es gibt Sorten, die sich speziell für Apfelmus eignen. «Aargauer Jubiläum» ist so einer – er ist gross, bleibt weiss beim Anschneiden und lässt sich maschinell gut verarbeiten. Das «Hero»-Apfelmus verdankte ihm seine Sämigkeit. Zu Ehren des 100-jährigen Jubiläums des Kantons Aargau wurde diese Sorte 1903 so benannt. René ehrte den Kanton durch einen neuen Baum neben dem alten.

Aargauer Jubiläum jung und alt

Rechts der alte „Hero“-Apfelbaum, links der junge.

Er findet, dass in jeden Garten ein Baum passt, seit es Züchtungen mit kleinerem Wurzelwerk gibt – die Spindel- oder Säulenbäume. Sorten mit «Re-» am Anfang weisen auf die Resistenz gegen Pilz und Mehltau hin (z.B. «Rewena» oder «Reanda»). Der «Spartan», ein resistenterer Ersatz für die «Berner Rose», sei eine schöne, rote, immer tragende Sorte. Empfehlenswert sei auch der «Gewürzluiken», aromatisch, saftig, mit leichter Säure, der schon ab November fein schmecke. Für seinen Vater muss René den «Verenacher» pflegen. Er liefert die spezielle Süsse für die Solothurner Spezialität «Schnitz und Drunder».

Das Rezept
Vielleicht streiten nun die Solothurner und die Aargauer darum, für wen «Schnitz und Drunder» wirklich typisch sei. René beschreibt auf jeden Fall das solothurnische Familien-Rezept so:

 – 3-4 EL Zucker mit 1 EL Wasser caramelisieren, mit wenig Wasser ablöschen.
– Insgesamt 250 g getrocknete Äpfel und Birnen dazu – die süssen Äpfel und
die weichen «Speckbirnen» wenn vorhanden.
– 500 g geräucherten Kochspeck in Scheiben dazu.
– Mit 3-4 dl Bouillon auffüllen – sie sollte 1-2 Finger breit über allem stehen.
– 30 Minuten dämpfen, hie und da umrühren.
– 750 g Kartoffeln in Schnitzen, ein wenig Salz und Pfeffer beigeben.
– In 20-25 Minuten fertigkochen.

Und jetzt könnte René noch von den Vögeln erzählen, die im Baumgarten leben oder dort Station machen, aber das ist ein anderes Thema…entlang dem Wäscheständer zwischen den Bäumen, «Pastorenbirnen», Sauerkirschen und «Chatzeseicherli»-Reben an der Hausmauer, geht die Dorfschreiberin erfüllt vom Apfelkosmos nach Hause.

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Tomaten selber ziehen

josef reichmuth

Sepp Reichmuth, der Suhrer Velomechaniker, ist leidenschaftlicher Tomaten-„Bauer“. An der Veranstaltung in der Badi hatte er bereits erklärt, wie er seine Tomaten selber zieht – nun hat er es noch ausführlich gezeigt:

Zuerst also die Kerne direkt auf ein Stück WC-Papier streichen.

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Dann ein 2. Stück darüber legen. Achtung: Perforationen versetzen, sonst reisst alles.

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Und jetzt an der Sonne trocknen lassen. Am Schluss beschriften.

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Den Winter über an einem trockenen Ort aufbewahren. Ende März auf die Erde in einem Blumentopf (am besten dem Papier-Format entsprechend, einer Blumenkiste…) legen, ein wenig festdrücken, Erde darüber und giessen. In der Wohnung an einen hellen Platz stellen.

Wenn die Keimlinge das 2. Blattpaar zeigen, pikieren. Den ca. 10 cm langen Keimling quer auf die Erde legen, mit der Bleistiftspitze in die Erde drücken, bis nur noch die Blättchen zu sehen sind.

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Genauso schräg/ quer dann auch die grösseren Pflanzen in die Erde bringen. Das fördert das Wurzelwachstum. So kann übrigens auch ein abgebrochener Trieb einfach eingepflanzt werden – die feinen Härchen am Stängel verwandeln sich unter der Erde alle in Würzelchen.

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Sepp Reichmuth hat auch eine besondere Art der Tomaten-Bewässerung erfunden: jeder Stock hängt an der Infusion. Er erhält gebrauchte Infusionsbeutel aus dem Spital, kann damit schön dosieren und mit dem Schlauch wirklich die eine Pflanze mit Wasser versorgen, nicht das Unkraut daneben. UND die Blätter werden nicht nass, was den Tomaten ja bekanntlich nicht gefällt.

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Sepp vermehrt alle möglichen Pflanzen mit ihren Samen oder Kernen – Tagetes und Pfirsiche z.B. – und zweigt auch seine Bäume selber auf. Neben den Tomaten aus Mittelamerika wächst bei ihm noch eine weitere Pflanze aus dieser Gegend hervorragend, die Chayote, verwandt mit dem Kürbis. So viel Erfindungsgeist und Exotisches beim Velomechaniker am Erlenweg!

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Illustration von Gabi Kopp, Fotos von Eli Wilhelm