Der Dorfschreiber lernt im Lindenfeld die Gültigkeit dieser chinesischen Weisheit zu schätzen:
“Unter den Linden” ist die zentrale Prachtstrasse Berlins, “Lindenfeld” ist auch ein verlassenes Dorf im Westen Rumäniens. Dazwischen liegt eine Oase des Friedens, das Suhrer Krankenheim “Lindenfeld”. Eine Insel im Grünen, mit grandiosem Blick auf die Wasserfluh aus den oberen Stockwerken des zweckmässigen Baus der sechziger Jahre.
“Als junger Mann konnte ich mir nicht vorstellen, einmal da zu leben, jetzt bin ich hier und ich bin sehr glücklich. Das Essen ist hervorragend und gibt mir die Tagesstruktur, die Betreuung super. Es tönt wie in einem Werbespot, aber es stimmt. Nur das Dreierzimmer, wo keine Privatsphäre mehr möglich ist, bedeutet eine nicht immer leicht Umstellung…” Das schilderte mir ein Langzeit – Bewohner des Lindenfelds am “Treff am Abend”. Jeden Mittwoch, nach dem Abendessen treffen sich einige Bewohnerinnen und Bewohner zum geselligen Beisammensein. Im Sommer, bei gutem Wetter, findet sich die Gruppe unter den schattigen Bäumen draussen auf dem Vorplatz der Cafeteria. Es wird gelacht über die Abenteuer der längst vergangenen Jugendzeit, Karten gespielt, am anderen Tisch liest eine Betreuerin aus einem Buch lustige Heimatgeschichten vor. Dazwischen flaniert der Englische Schäferhund und wird von vielen genüsslich gestreichelt.
Um die etwa 150 zu Betreuenden im Alter zwischen zwanzig und hundert Jahren kümmern sich doppelt so viele Angestellte. Ob direkt in der Betreuung und in den Therapien, oder organisatorisch im Hintergrund in Büros, alle mit vollen Kräften unter dem Leitsatz: “Geht nicht, gibt’s nicht!”. Als grosse Herausforderung gilt auch hier, die gute Balance zwischen Therapien und Berichteschreiben zu finden. Sich den Menschen intensiv zu widmen hat die oberste Priorität.
In Weiterbildungen mit externen Fachleuten wird über Sexualität im Alter, Demenz, Freitodbegleitung und vieles mehr referiert. Wöchentliche Gottesdienste im Saal spenden Trost und Hoffnung, monatliche Besuche des Clown-Duos Frieda und Berta hellen die dünkleren Stunden auf. Rund 20 Bewohnerinnen und Bewohner haben letztes Jahr Kurzferien im Schwarzwälder Freudenstadt genossen und kehrten durch den “Tapetenwechsel” gestärkt in ihren Alltag zurück.
Diese kleine Reportage hat mir die Angst vor dem Alter mit allen seinen Gebrechen genommen, der Respekt davor bleibt. Mit einem Lachen bedanke ich mich bei euch allen dafür: Bewohnerinnen und Bewohnern, Personal und vielen freiwilligen Mitarbeitenden!
Jiří Vurma im Juni 2015